Die Antwort auf diese Frage ist für mich klar: Eindeutig ja.
In diesem Beitrag stelle ich die Unterschiede von Nachhaltigkeitsstrategien am Beispiel von vier Unternehmen aus Praxissicht vor. Als Merkmal habe ich den Umgang mit Schwellenländern in einer Kunden- oder Lieferantenbeziehung als herausforderndes Thema ausgewählt, das gleichzeitig den Nutzen, aber auch die Unterschiede von Nachhaltigkeitsstrategien herausarbeitet.
Teil 1: Umgang mit Schwellenländern, Wirecard, Schöffel
Teil 2: Apple, Amazon, Fazit
Umgang mit Schwellenländern
Unternehmen haben sich an eine Fülle von Gesetzen und Richtlinien zu halten, werden regelmäßig nach Richtlinien und Normen von Dritten auditiert und werden ebenso regelmäßig auf die wesentlichen Finanzkennzahlen geprüft, z.B. vom Finanzamt und Wirtschaftsprüfern. Das ist nicht einfach und angenehm, insbesondere wenn Unwissenheit über die Auswirkung neuer Gesetzes-änderungen nicht vor Strafe schützt. Schwierig und gleichzeitig verlockend wird die Situation bei Geschäften außerhalb der regulierten EU mit Schwellenländern, da dort andere Gesetze, Kulturen und natürlich auch andere Lebens-, Umwelt- und Sicherheitsstandards gelten, zusätzlich ist die kontinuierliche und unabhängige Überprüfbarkeit schwierig. Neben der motivierten Verfügbarkeit von Menschen als willige Arbeitskräfte, winken viel günstigere Entlohnungs- und Sozialabsicherungs-systeme, die zu den angestrebten niedrigeren Einkaufskosten führen. Aus Altruismus werden keine Wirtschaftsverbindungen in Schwellenländern aufgebaut, sondern es geht immer ums Geld, entweder um günstige Herstellungskosten zu erlangen oder an prosperierenden Wachstumsmärkten zu partizipieren, es werden aber auch einfach Lücken in Überwachungssystemen genutzt oder stillhaltend geduldet.
Wirecard, Deutschland
Zur Vermeidung von Verstößen und gesetzlichen Grauzonen greifen die Mechanismen von Compliance und sie bietet sich dafür an, z.B. die freiwillige Ausdehnung Europäischer Gesetze als Richtlinien in Schwellenländer zu etablieren. Kommt jedoch genügend kriminelle Energie der Akteure hinzu, kann das wohldefinierte Regularien-System ausgehebelt werden und es herrschen Zustände, die absolut nichts mit dem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns gemein haben. Da helfen auch Tonnen von Prozeduren und Dokumenten nicht, da in der Regel die Komplexität und Seiteneffekte für den Einzelnen unüberschaubar wirken und man sich auch prima dahinter verstecken kann. Aktuelles Beispiel ist das FinTech-Unternehmen Wirecard: Dem ehemals DAX-notierten Unternehmen wird u.a. vorgeworfen, durch gewerbsmäßigen Bandenbetrug einen Schaden von 1,9 Mrd. Euro mit Luftbuchungen außerhalb der EU erzeugt zu haben. Kurios ist, dass dieser Schwindel möglicherweise 15 Jahre zurückreicht, angeblich 250 Mitarbeiter eingeweiht waren und die Financial Times bereits im April 2015 über das House of Wirecard berichtet hat [1] [2] [3]. 15 Jahre Betrug sind tatsächlich rekordverdächtig und für ein DAX-Unternehmen unvorstellbar. Ist das nur die Spitze des Eisberges? Laut Statista aus dem Jahr 2018 gab es in Deutschland 50.550 Fälle von Wirtschaftskriminalität, 2010 waren es noch 102.813[4]. Die akkumulierte Schadenssumme bei Wirecard ist rekordverdächtig und liegt deutlich über dem Durchschnitt von 7,23 Mio. Euro pro Unternehmen, nach einer Studie von PwC ebenfalls aus 2018[5]. Wir lernen: Geld und Gier sind sehr mächtig, wegschauen und einfach weiter machen ist falsch.
Gesetze, Richtlinien und Compliance reichen offenbar nicht, wir brauchen etwas, das moralische und ethische Standards in die Unternehmenskultur bringt und authentisch leben lässt: Jetzt kommt das ESG/CSR-Universum ins Spiel.
Das unternehmerische Handeln in den vergangenen Jahrzehnten war vor allem von dem Shareholder-Value-Prinzip geprägt, das vorrangig die Interessen von Aktionären berücksichtigt hat. Heute wandelt es sich in das Stakeholder-Value-Prinzip, das z.B. auch die Rechte von Arbeitnehmern – selbst bei ausgelagerten Lieferanten in Schwellenländern – und gesellschaftliche Prioritäten in eine Unternehmensstrategie miteinbezieht. Bemerkenswert ist die klare Kante von BlackRock (der weltweit größte Vermögensverwalter aus den USA): Anfang 2020 hat BlackRock angekündigt, dass Nachhaltigkeit ihr neuer Standard bei Investments sein werde und hat auch gleich angefangen große Unternehmen dazu zu verpflichten [6].
Ein Zoom auf drei jedem bekannte Firmen offenbart, wie das Stakeholder-Value-Prinzip bei z.B. Lieferbeziehungen mit Schwellenländern ab dem Jahr 2010 gehandhabt wurde und wie sich die Firmen heute positionieren, Green- und Soul-Washing hin oder her, natürlich ist das auch starkes Image Branding und Produktmarketing.
Schöffel, Deutschland
Die Outdoor-Firma Schöffel hat im August 2020 über den Umgang mit Lieferanten in Schwellen-ländern sehr positiv gepunktet („Anständig durch die Krise: Wie Schöffel den Lieferanten in Asien hilft“ [7]) und dann im November 2020 mit folgender Headline nochmal nachgelegt: „Wir wollten die Last der Krise nicht auf den Schultern unschuldiger Unternehmer verteilen“ [8]. Bemerkenswert und richtungsweisend, denn offensichtlich hat Schöffel Waren abgenommen, bezahlt und bei sich eingelagert, obwohl die Vertragsbeziehungen mit den Lieferanten in Fernost wie z.B. Vietnam, Kambodscha oder Indonesien, auch zur Nichtabnahme zu Gunsten von Schöffel hätten gedreht werden können. Corona-bedingte Nachfrage- und Umsatzrückgänge führen zu der gewollten Überlieferung, was Schöffel im November 2020 mit 8 Mio. € Liquiditätsbindung angegeben hat.
Wow!
Ja, und Schöffel kann es sich – muss es aber nicht – nach den veröffentlichten Zahlen von 2018 leisten[9], bei einem Umsatz von 93,8 Mio. €, Gewinn von 5,149 Mio. € und einem positiven Cash von 42,6 Mio. €. Die Aufwendungen für bezogene Leistungen waren für 2018 11,5 Mio. € oder anders formuliert: 8 Mio. € nicht benötigte Warenlieferung sind 70% der angelieferten Jahresmenge bei gleichem Umsatz, der nun in einen zusätzlichen Lagerbestand umgewandelt wurde. Doppel-Wow! Natürlich steckt dahinter weitsichtiges, unternehmerisches Handeln. Schöffel schafft eine höhere Verbundenheit mit den Lieferanten und hält indirekt die Näherinnen in Fernost in Lohn und Brot. So schafft man sich Fans, Vertrauen und Loyalität, die viel stärker sind als jeder Vertrag dieser Welt. Und durch die PR-Wirkung gewinnt die Marke mit deren Produkten an Ansehen bei den im Outdoor-Segment sensitiven und nachhaltigen Kunden, die zunehmend werteorientiert sind und denen es wichtig ist, Verantwortung zu übernehmen. Win-Win.
Bis 2010 war der Mindset von Schöffel noch anders, aber durchaus branchen- und wirtschaftsüblich: Schöffel zahlte in den produzierenden Schwellenländern trotz hoher Gewinnmargen nur geringe Löhne und in den Fabriken herrschten schlechte Arbeitsbedingungen. Eine Nichtregierungs-organisation (NGO) stellte im Ergebnis fest, dass „Image und Realität der Outdoor-Branche zum Teil schmerzhaft auseinanderklaffen“ [10].
Erfahren Sie mehr über Apple und Amazon, den Wirtschaftstitanen aus den USA sowie meinem unnachgiebigen Fazit im zweiten Teil dieses Beitrages.
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Registrierung für zusätzliches Content[1] https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/bilanzskandal-der-betrug-bei-wirecard-soll-schon-vor-15-jahren-begonnen-haben/26040098.html
[2] https://www.bild.de/geld/wirtschaft/wirtschaft/wirecard-skandal-250-mitarbeiter-muessen-von-betrug-gewusst-haben-72952604
[3] https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/wirecard-skandal-untersuchungsauschuss-100.html
[4] https://de.statista.com/themen/801/wirtschaftskriminalitaetssumme
[5] https://www.pwc.de/de/risk/pwc-wikri-2018.pdf
[6] https://www.morningstar.de/de/news/202463/trend-zur-nachhaltigkeit-treibt-ver%C3%A4nderungen-in-der-unternehmenswelt-voran.aspx
[7] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/corona-pandemie-anstaendig-durch-die-krise-wie-schoeffel-den-lieferanten-in-asien-hilft
[8] https://www.xing.com/news/articles/outdoor-papst-schoffel-wir-wollten-die-last-der-krise-nicht-auf-den-schultern-unschuldiger-unternehmer-verteilen-3618092
[9] https://www.northdata.de/Sch%C3%B6ffel+GmbH+%26+Co.+KG
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Sch%C3%B6ffel_(Unternehmen)